"Wenn ich an meine Zeit als junge Sängerin denke, dann fällt mir auf, dass ich im Konzert während des Singens das ein oder andere Mal ein Wort vergaß. Das war mir damals ein völliges Rätsel, denn ich hatte den Text sehr gründlich eingeübt. - Ach, dachte ich, es wird wohl irgendeine Bewegung im Raum, irgendeine Ablenkung durch Geräusche im Publikum gewesen sein.
Heute weiß ich, dass es einen viel wichtigeren Grund gab, nämlich den, dass ich das mir damals entfallene Wort nicht tief genug empfunden hatte.
Durch die Erfahrung von hunderten von mir gegebenen Gesangsstunden weiß ich heute, dass jedes einzelne Wort seelisch erfasst sein möchte, damit es wirklich klingen kann.
Das Wort verhält sich sonst wie ein Freund, den ich, weil ich vielleicht unkonzentriert und mit den Gedanken woanders bin, nur halbherzig begrüße. Er wird irritiert sein und sich nicht gesehen, ja sogar vergessen fühlen – wie das Wort in meinem Lied.
Jedes künstlerisch empfundende Wort, das durch meine Stimme erklingt, nimmt mein volles „Dabeisein“ in Anspruch.
Der Klang der Stimme, ob im musikalischen Zusammenhang oder im gesprochenen Wort, verrät so Vieles! Wir sind nur nicht mehr gewohnt, bewusst hinzufühlen. Unbewusst nehmen wir aber doch durch den Klang hindurch eine Atmosphäre wahr, die uns seelisch berühren – oder irritieren kann. Es ist so wichtig, unsere Wahrnehmung zu schulen!
Nirgendwo können wir so deutlich im Klang der menschlichen Stimme wahrnehmen, wie es sich im Gesang oder künstlerischen Sprechen zeigt: Wir Menschen sind in der Lage, auf der Schnittstelle zwischen Himmel und Erde zu navigieren! Nach und nach lernen wir uns und die Welt immer besser zu verstehen; nach und nach erweitert sich unser Bewusstsein. Wir können erleben, wie unser Tun und unser Denken ganz davon abhängen, wie verantwortlich wir uns fühlen: für jeden Ton, jedes Wort, in der Kunst wie im ganzen Leben."
Vivian Middelmann durchlebte ihre Lehrjahre als Sängerin in Form von ersten Soloauftritten bei Kirchenkonzerten in Bad Harzburg,
privaten Studien in Hannover und im Ruhrgebiet sowie an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, wo sie ein Gesangsstudium begann.
Nach dem Heranwachsen ihrer drei Söhne absolvierte sie erneut Meisterkurse, widmete sich zusammen mit ihrer Lehrerin Petra Schulze
intensiv dem Lied- Oratorien- und Opernrepertoire. An der "Schule für Gesang" in Essen ließ sie sich zur Gesangspädagogin ausbilden.
Im westdeutschen Raum konzertierte sie in Kirchen und Konzertsälen wie dem Schloss Nordkirchen, dem Thürmer-Saal und Kulturdenkmälern
wie der Stiepeler Dorfkirche und dem Scharoun-Bau "Johannis-Kirche" sowie vielen weiteren Kulturorten. Als Solistin mit Orchester
sang sie Kantaten von J.S. Bach und die Sopranpartie aus dem "Elias" von F. Mendelssohn-Bartholdy.
Auch das Unterrichten wurde ihr zur Herzensangelegenheit. Auf den weiteren Lebensstationen in Regensburg und Berlin gab sie Gesangskurse
und Einzelunterricht und entwickelte ihre Unterrichtsmethode beständig weiter, so dass sie mittlerweile nicht nur auf dankbare Schüler
auf dem Gebiet des Gesangs, sondern auch auf dem der Sprechstimmen-Entwicklung verweisen kann.
Besonders in der auf die Berliner folgende Oldenburger Zeit entwickelte sie noch ein vertieftes Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen Sing- und Sprechstimme.
"Wort-Stimme-Bewusstsein" wird nun zum Titel für all das, an dem Vivian Middelmann mit ihren Schülern arbeitet, um die kulturelle Quelle zu erschließen.